Ich bade gerne. Nicht nur in der erfrischenden Nordsee, der trägen Eider oder der heimischen Wanne, sondern auch in unserer Sprache. Es kann eine Wohltat sein, sich mit schönen Worten und Sätzen zu umgeben.

Neulich war ich im Laurie Lee baden, also in seinem Reisebericht. Eigentlich interessieren mich Reiseberichte nicht so wirklich. Aber in der Verlagsvorschau hatte es mir der Titel angetan, der über dem kitschigen Buchcover schwebte: „An einem hellen Morgen ging ich fort.“ 1934 verlässt der junge Lee mit Geige, dichterischem Talent und einem enormen Erkundungsdrang das heimatliche Dorf. Zu Fuß macht er sich nach London auf, wo er ein Jahr lang als Hilfsarbeiter auf dem Bau seinen Lebensunterhalt verdient. Er wohnt in den Kammern zwielichtiger Gaststätten, kurioser Familien und politisierter Arbeiter. Noch stehen die Grenzen Europas weit offen und weil er ein paar spanische Wörter kennt, kauft er von seinem letzten Geld ein Ticket für die Überfahrt nach Nordwest-Spanien.

Das Land dieser Zeit trifft ihn (und auch mich, den Leser) völlig unvorbereitet. Als Vagabund durchwandert er Spanien bis runter nach Gibraltar. Für Wein, Brot und ein paar Münzen spielt er in den Gassen und Tanzlokalen. Die Nächte verbringt er unter freiem Himmel, in familiären Gasthöfen und im feinen Bett eines Gönners. In den Städten erlebt er die Armut, auf der Straße die Freiheit und auf dem Land das entbehrungsreiche Leben der Bauern. Zuerst unterschätzt er die Hitze und dann den herannahenden Bürgerkrieg. Letzterer bedeutet das (vorläufige) Ende seiner Zeit in Spanien.

Lees atmosphärische Sprache berührt mich am ganzen Körper. Auf eine schwer zu beschreibende Art habe ich diese Zeit, dieses Spanien und diese Geschichte lebendiger und berührender erlebt als es bislang jede beschreibende Sprache vermochte. Ich habe viel über Spanien gelernt. Aber auch viel Neues über die Magie der Sprache. Ein Bad in diesem Buch kann ich nur wärmstens empfehlen.

Buchtipp von Philipp Seehausen, Veröffentlicht im General-Anzeiger Bonn vom 28.09.2019