Das Mädchen steht in der Tür und hält mir lächelnd den Eisbecher hin. „Mit lieben Grüßen von der 4. Klasse der Elsa-Brändström-Schule“ sagt sie, dreht sich um und rennt zurück. Gerührt bleibe ich am Fenster stehen und sehe die Schüler vorbei ziehen; angeführt von ihrer Lehrerin, die offensichtlich die letzten gemeinsamen Momente genießt. Vier Jahre Lang hat sie ihr ganzes Herz in diese Schüler gesteckt, hat sie gepflegt und gefördert, wie man zarte Pflänzchen auf kargem Boden großzieht. Unvermittelt muss ich an den Schäfer Elzéard Bouffier denken, der über vier Jahrzehnte hinweg in den ausgedörrten Höhen der Provence Bäume pflanzte und damit einen ganzen Landstrich veränderte.

Bouffier ist eine fiktive Gestalt in „Der Mann der Bäume pflanzte“, eine Kurzgeschichte des französischen Schriftstellers Jean Giono. Er begegnet dem Einsiedler bei einer Wanderung durch das provenzalische Bergland und begleitet ihn für einige Tage. Nach dem ersten Weltkrieg sucht er ihn wieder auf. Die Bäume spenden inzwischen Schatten, halten den nervenden Wind „Mistral“ zurück und das Wasser im Boden. Die Quellen führen wieder Wasser und die Menschen kehren in die verlassenen Dörfer zurück. Die Gegend blüht auf, weil ein Mensch unbeirrt Bäume pflanzt und großzieht.

So unbeirrt nehme ich auch die Lehrerin wahr: Sie und ihre Kollegen putzen die Klassenräume, wenn die Stadt die Grundreinigung auslässt, sie unterrichten im Flur, weil nicht genügend Räume zur Verfügung stehen, sie zaubern aus dem Nichts Ausflüge um den Horizont der Kinder zu weiten und verzieren mit Bildern das alternde Schulgebäude. Und das alles mit Liebe, Humor und Engagement.
Heute verabschieden sich diese wunderbaren Schüler, die uns im Laden über die Jahre mit so viel Herz, Offenheit und Lernbegierigkeit begegnet sind von ihrer Lehrerin.

Liebe Leser: Dieser großartige Klassiker sei all denen gewidmet, die Bäume pflanzen oder auf andere Weise durch unbeirrtes Tun unsere Welt zu einem besseren Ort machen!

Buchtipp von Philipp Seehausen, Veröffentlicht im General-Anzeiger Bonn vom 13.07.2019